Neue Gedenkplakette für Carl Friedrich Uhlig – ein Großer Chemnitzer!

Was hat Chemnitz eigentlich mit Tango zu tun? Sehr viel – wenn man ins Jahr 1834 zurückschaut. Damals baute Carl Friedrich Uhlig (1789–1874) hier die wechseltönige Concertina. Aus dieser unscheinbaren Erfindung entstand später das Bandoneon – der unverwechselbare Klang des Tango Argentino. Doch Uhligs Name geriet in Vergessenheit.
Das Kulturhauptstadtjahr 2025 hat das geändert: Am Roten Turm trägt Uhligs Name nun wieder Glanz – auf einer Gedenkplatte der „Großen Chemnitzer“, dem lokalen Walk of Fame. Diese Würdigung durch den Rotary Club Chemnitz während der Tangotage Chemnitz 2025 am 14.9. ist Teil des Kulturhauptstadtjahres, in dem über 50 Tango-Veranstaltungen stattfinden, Grundschüler Bandoneon lernen und sogar an der Musikschule das Instrument unterrichtet wird. So wird eine fast vergessene Verbindung neu belebt: Chemnitz schenkte dem Tango seine Stimme.

Nachstehend die Laudatio von Musikjournalist Claus Fischer und einige fotografische Impressionen unserer Freundin Maria Okruznova aus Riga und Misha Homolová aus Prag.

Claus Fischer „Nicht Bandoneon, sondern Uhligoneon sollte es heissen!“ –
Laudatio zur Enthüllung der Gedenktafel für Carl Friedrich Uhlig am Roten Turm in Chemnitz 14.
September 2025 , 11 Uhr

Meine sehr verehrten Damen und Herrn, liebe Frau Kulturbürgermeisterin Ruscheinsky, lieber Franz Wagner-Streuber, liebe Musikerinnen und Musiker, liebe Mitglieder des Rotary-Clubs, liebe Chemnitzer Tangogemeinde hier in der Kulturhauptstadt Europas 2025!

„Vor, vor, Wie-ge-schritt, rück, seit, Schluss! Vor, vor Wie-ge-schritt, rück, seit, Schluss!“ 1986 in der Festhalle in Hockenheim, Rhein-Neckar-Kreis. Tanzschule. Ich weiß nicht, wer unglücklicher war: Ich, weil ich so gar nicht imstande war, mich mit meinen Beinen geschmeidig zu wiegen – oder die mir zugeteilte Partnerin, die vermutlich das Gefühl hatte, mit einem Besenstiel übers Parkett zu holpern…

Das war meine erste Begegnung mit dem Genre Tango. Die Musik, nach der ich damals tanzen musste, kam vom Tangoorchester Alfred Hause – mit gefühlt tausend singenden Geigen! Irgendwie hatte das alles was von einer Teenager-Komödie. Und wenn ich nicht die Töne weit mehr geliebt hätte als den Rhythmus, wäre diese erste womöglich auch meine letzte Begegnung mit dem Genre Tango gewesen….

Doch es kam anders. Am Beginn meiner Studentenzeit in Leipzig 1994 habe ich das Hobby entdeckt, das mich bis heute nicht mehr loslässt und das mir noch genau so viel Freude macht – das Sammeln von Schellackplatten oder Grammophonplatten wie sie auch genannt werden. Zunächst hatte ich es auf die Schlager der sprichwörtlichen Goldenen Zwanziger abgesehen, Nummern wie „Wer hat bloß den Käse zum Bahnhof gerollt“ oder „Tante Paula liegt im Bett und isst Tomaten“. Dann entdeckte ich die Tanzmusik und stellte fest, dass der Tango in dieser Zeit auch hierzulande  schwer in Mode  war. Allerdings wirkte er ziemlich preußisch und die Texte waren ähnlich komisch wie bei den Gassenhauern im Foxtrott-Rhythmus. Da sang ein näselnder Tenor dann zum Tangorhythmus „Zuerst ein Schnäpschen, und dann ein Küsschen, und dann so‘n bisschen Dideldideldei“ oder besonders schön: „Guck doch nicht immer nach dem Tangogeiger hin, was ist schon dran an Argentinien?“.

Lange habe ich gedacht: Das wäre der klassische Tango der Zwanziger. Was war ich nur für ein Ignorant! Doch wenn man in jeder freien Minute über die Flohmärkte streift und jeden Trödelladen aufsucht, der am Wege liegt, da kommt man irgendwann dann doch auf den Stein der Weisen, bzw. auf den richtigen Tango! Auf den Tanz aus den tristen Hafenvierteln von Argentinien, der weit mehr ist als ein Tanz ist, nämlich ein Lebensgefühl und ein Kulturphänomen!

Meine „Bekehrungsplatte“ fand ich eines schönen Tages auf einem Flohmarkt in Leipzig. Es war ein absoluter Standard-Tango: „A media luz “, was man mit „Im Zwielicht“ übersetzen könnte. Den kannte ich zwar schon – aber nur in der Version des Orchesters Alfred Hause, mit gefühlt tausend singenden Geigen. Auf der jetzt gefundenem Platte aus dem Jahr 1927 spielte aber das Orchester Francisco Canaro. Das klang wunderbar urwüchsig und kantig. Und ein Instrument in dieser Kapelle versetzte mich regelrecht in Begeisterung! Es hörte sich an wie ein Akkordeon – aber doch nicht so richtig. Und es klang immer ein wenig im Ton daneben, aber nie so, dass es ganz falsch wurde. Ein Faszinosum! Ich hatte meine Liebe zum Bandoneon entdeckt, das in Verbindung mit dem Kaminfeuergeräusch der nicht mehr ganz taufrischen Schellackplatte ein regelrechtes Suchtpotenzial entfaltet hat…

Inzwischen besitze ich mehr als 300 Tangoplattem diverser argentinischer Tangokapellen der 1920er Jahre. Neben Francisco Canaro natürlich Carlos Gardel und Juan Llossas, der auch in Berlin viele Aufnahmen gemacht hat. In kleineren Formationen sind meist zwei Bandoneons zu hören, die sich oft wunderbar klanglich aneinander reiben. In größeren, etwa dem Orquesta Tipica konnten es aber auch mal acht oder mehr sein…

Ich habe dann nachgelesen, wie dieses wunderbare, im besten Sinne „schräge“ Instrument im frühen 20. Jahrhundert nach Argentinien kam. Und dass es ein gewisser Heinrich Band aus Krefeld erfunden haben soll. Das glaubte ich bis vor wenigen Monaten. Doch inzwischen wurde ich eines Besseren belehrt! Und mir wurde gewahr, dass dieser Herr Band aus Krefeld schamlos ausgenutzt hat, dass es im 19. Jahrhundert noch kein Patentrecht gegeben hat! Nach heutigem Rechtsempfinden, da bin ich mir sicher, würde dieses Instrument „Uhligonion“ heißen! Denn Carl Friedrich Uhlig, in dessen Angedenken wir uns hier versammelt haben, hat die „Chemnitzer Konzertina“ erfunden, die Herr Band in Krefeld lediglich in etwas veränderter Form zum Erfolgsmodell gemacht hat. Ohne Carl Friedrich Uhlig aus Chemnitz würde es heute kein Bandoneon geben. Wir können von Glück sagen, dass er irgendwann der Strumpfwirkerei überdrüssig war und sich auf die Konstruktion von Handorgeln verlagert hat!

Und so verneigen wir uns vor seinem enormen Erfindergeist und ehren in ihm einen wahrhaft großen Sohn der Stadt Chemnitz!